Von Menschen und Häusern.
Architektur in der Steiermark
Buchrezension
Dies ist bereits die vierte Ausgabe
des Jahrbuchs der aktuell besten steirischen Architektur, mit dem das Haus der Architektur in Graz den regionalen Architekturpreis begleitet und dokumentiert. Bislang glänzten diese Bücher mit einer gewissen, nun ja, dokumentarischen Trockenheit. Texte und Bildmaterialien von den Architekten, dazu ein, zwei oder drei Aufsätze von den renommierten Jurymitgliedern des Preises, in denen die steirische Architektur in den globalen Zusammenhang eingeordnet wird. Gähn.
Das HdA hat sich bei dieser wiederkehrenden
Prozedur offenbar selbst
gelangweilt und entschieden, 2009
anders zu gestalten. Eine Einzelperson
sollte den Preis als „Kurator“ entscheiden
und das Buch dazu entsprechend
gestalten. Das ist in der Tat, wie es
angekündigt wurde, ein „auch im
internationalen Vergleich radikaler
Neuansatz“. Es muss als Geniestreich
gewertet werden, dass dafür die Architekturkritiker
und Autoren Ilka und
Andreas Ruby gewonnen werden
konnten. Die beiden Berliner luden die
mexikanische Fotografin Livia Corona
ein, mit ihnen zu den 12 nominierten
Projekten zu reisen. Corona hat jedes
Gebäude mit verkleideten Komparsen
„ausstaffiert“. Sie fängt also nicht den
Alltag der Gebäude ein, sondern inszeniert
sie in einem fiktiven Gebrauch
– ähnlich wie Annie Leibovitz‘ Inszenierungen
von Prominenten zeigt auch
Corona vor allem einen unabhängigen,
künstlerischen Blick auf die Gebäude
mit einem theatralen Spaß an der
Überzeichnung, wenn Dirndl-Mädchen
in die „Frog Queen“ (Splitterwerk)
laufen oder wenn sich Hochzeitspaare
auf dem neuen Hauptplatz von
Trofaiach vor dem Sparkassengebäude
(yes architecture) fotografieren lassen.
Statt der Erläuterungstexte der Architekten
haben die Rubys Bauherren,
Anwohner, Nachbarn, Vertreter der
Behörden befragt, zu jedem Projekt
finden sich kurze Gesprächsnotizen,
fast wie Fragmente einer Unterhaltung
im Vorübergehen. Da sagen die
Nachbarn, das neue Gebäude sei
gewoÅNhnungsbedürftig, aber jetzt gefalle
ihnen vor allem, „wenn man am
Abend Licht sieht“, und der neunjährige
Sohn der Besitzer sagt, er wohne
in einem „komischen Bau“, der „nicht
ganz normal“ aussieht. Hier wird
über Mietpreise gesprochen, über
Farbe gestritten, über Erwartungen
und Enttäuschungen, über Streit und
Versöhnung berichtet und wer den
Bauarbeitern eigentlich den Kaffee
bringt. Näher war man noch nie an
der Architektur. Man ist versucht,
nach der Lektüre die vorgestellten
Personen und Gebäude zu duzen.
Dieses Buch ist nichts geringeres als
die Französische Revolution für die
Architekturkritik. Wir müssen hier
erkennen, was eine Beschreibung von
Architektur leisten kann, wenn sie
Menschen und Häuser ernst nimmt
– und wenn es ihr gelingt, vom Propagandamaterial
unabhängig zu werden,
das so viele Archtiekten gerne über ihre
Fertigstellungen verschicken. Nach
diesem Buch werden wir nicht
einfach weitermachen können mit
den Architekturjahrbüchern, wie
sie bisher waren. Völlig zu recht
wurde dieses Buch gerade erst als
eines der „Schönsten Bücher
Österreichs 2009“ ausgezeichnet.
(Florian Heilmeyer)
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