Anlässlich des Beschlusses der Österreichischen Bundesregierung 100 Millionen Euro für die Thermische Sanierung von Gebäuden zur Verfügung zu stellen und der parlamentarischen Enquete „Zukunftsinvestitionen in Umwelt, Bauen und Wohnen" erlaube ich mir folgenden Artikel, erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. November 2010 zu rebloggen:
Die Burka fürs Haus
Wohnen, Dämmen, Lügen: Am deutschen Dämmstoffwesen soll das Weltklima genesen. Was der neue Fassadenstreit über unser Land verrät und warum Vollwärmeschutz das Gegenteil von Fortschritt ist.
Rafael Horzon schlug bereits 2002 vor, ganz Berlin - inklusive Stadtschloss - hinter Paneelen verschwinden zu lassen
Im Sommer 2002 hatte der Möbeldesigner Rafael Horzon eine Vision: Er gründete das Fassaden-Verschalungs-Unternehmen BELFAS, dessen Name sich vom französischen „Belle-Façade“ ableitet. „Sämtliche Fassaden Berlins sollten mit weißen BELFAS-Platten verschalt werden. Und in kürzester Zeit würde Berlins Stadtbild in einer Einheitlichkeit und Klarheit erstrahlen, die einzigartig auf der ganzen Welt war.“ So schreibt Horzon in seinen Lebenserinnerungen (“Das weiße Buch“, Suhrkamp). Als Monopolist dieser Fassadenelemente rechnete er mit etwa „zehn Milliarden Euro Gewinn“.
Die Zeit, scheint es, war aber noch nicht reif für diese Idee.
Vergeblich schickte er Visualisierungen von verschalten Straßenzügen, Kollhoff-Villen und Stadtschlössern in die Welt, als Prototypen ließ er seinen Möbelladen mit den Platten verkacheln. Die einzige Antwort war aber ein Schreiben seines Hausverwalters: „Die Ansicht ist hierdurch erheblich nachteilig verändert worden. Ich muss Sie daher bitten, die Konstruktion wieder zu entfernen . . .“
Heute, im Herbst 2010, sieht die Welt schon ganz anders aus. Mit Horzons Idee verdient die Dämmstoff-Industrie tatsächlich unglaubliche Summen. Und es sind die Hausverwalter, die heute diese Platten zur Not eigenhändig vor die Fassaden kleben - nachteilige Veränderung der Ansicht hin oder her.
Das Land wird vermummt
Es gibt kein Thema, das im Moment für mehr Erregung sorgt als die Wärmedämmung für Gebäude. Außer der Kopftuchdebatte vielleicht. Aber gleich danach kommt schon die Dämmung, die Komplettverschleierung des Baukörpers, um die gestritten wird, als sei sie die Burka für das Haus. In den Architekturzeitschriften und Feuilletons heben die Ästheten die Faust zum Himmel und beklagen bebend den „Verlust der Schönheit“. Die Immobilienwirtschaft zetert sachlicher: Ihr sind schlicht die Kosten zu hoch. Und dies - das Geld - war bisher auch das einzige Argument, das stach. Ihr ursprüngliches Vorhaben, den gesamten Gebäudebestand dieses Landes bis zum Jahr 2050 zwangsweise auf das Niveau von Niedrigenergiehäusern herunterdämmen zu lassen, hat die Bundesregierung vor allem mit Blick auf die murrenden Eigenheimbesitzer zuletzt ein wenig entschärft - einer Wählerschicht, mit der man es sich im Licht von Stuttgart 21 mal lieber nicht auch noch verderben will. Es stehen sich in diesem Streit also knallhart ökonomische Interessen gegenüber, angesichts derer das feingeistige Lamento über den Verlust der „Stadtschönheit“ fast ein bisschen weltfremd wirkt.
Schwerer wiegt aber, dass die meisten Deutschen gar kein Problem mit der Verschandelung im Namen des angeblichen Klimaschutzes hätten - wenn es ihnen nur jemand anderes bezahlte. Denn die horzonhafte Komplettverdämmung der Bundesrepublik ist etwas, worauf ohnehin alle Fluchtlinien der Ästhetik, der Mentalität und des Bauhandwerks in diesem Land hinauslaufen.
In der Heimat des Laminats
Anders gesagt: Wer sich anschaut, wie es heute schon aussieht, den kann die Aussicht auf die ewige Verdämmnis auch nicht mehr schrecken. Oder noch anders gesagt: Wem es vor styroporverpackten Verhältnissen graut, der muss mit der Kritik schon früher ansetzen.
Immerhin leben wir in einem Land, in dem das Laminat, ein Holzimitat aus Kunststoff, zum meistverkauften Fußbodenbelag geworden ist. Es ist billiger als Parkett, dafür hat es auch die federnden Eigenschaften eines Trampolins und ist bewundernswert kratzempfindlich und kurzlebig, also letztlich doch teurer als das Holz, das es ersetzen soll. Betreten kann man solche Wohnungen immer nur so zaghaft, wie man dort auch gegen Trockenbauwände pocht: Jedes Pappmodell von Thomas Demand wirkt stabiler und statisch vertrauenerweckender als die hauchdünnen, insgesamt keksartig wirkenden Putz- und Rigipsmembranen, die heute die klassische Wand ersetzen sollen.
Zwei Zentimeter starke Riemchen aus Ziegel
Die moderne Psychologie hat noch gar nicht analysiert, was es für das Geborgenheitsgefühl bedeutet, wenn das, was Walter Benjamin einmal den Taktsinn genannt hat, das Gefühl für die Haptik und die Vertrauenswürdigkeit der Dinge, so hartnäckig übertölpelt wird. Mit den gedämmten Neubauten vor der Stadt ändert sich das Gefühl für das, was ein Haus ist. Jahrhundertelang war die gemauerte Wand das Solide, die Glasscheibe das Fragile. Man ermahnte Kinder, nicht mit dem Fußball auf die Wohnzimmerscheibe zu zielen, sondern nur gegen die Wand. Heute ist es umgekehrt: Modernes Sicherheitsglas hält es sogar aus, wenn man rückwärts mit dem SUV hineinfährt; die Wärmedämmverbundwand zerfällt schon beim Beschuss mit normalen Fußbällen in unansehnliche Einzelteile.
Diese pseudosolide Bluff-Architektur ist kein Problem der Vorstädte oder der architektonischen Haltung. Auch die Bauten eines Hans Kollhoff - der immerhin der Traumarchitekt jener Manufactum-Klientel ist, die für einen mundgeblasenen Treppenhaushandlauf so viel ausgeben wie andere für eine vollisolierte Doppelhaushälfte - werfen, wie im Falle seines Hochhauses am Potsdamer Platz, großflächig und unkontrolliert Ziegelsplitter von sich und müssen schon wenige Jahre nach Fertigstellung abermals unter Baugerüsten verschwinden. Kollhoff hatte für die Fassade des 25 Stockwerke hohen Gebäudes nämlich, obwohl es so aussieht, keinen Backstein verbaut, sondern Betonelemente, in die zwei Zentimeter starke Riemchen aus Ziegel eingegossen wurden. Deshalb sehen Rafael Horzons Rastervisionen der Neuberliner Traditionsarchitektur oft noch seriöser aus als die mit Steinfolien beklebten Originale: Es sind Entstellungen zur Kenntlichkeit.
Die Hysterie des Abschottens
Die Deutschen haben sich sonderbar leichtherzig von der Solidität ihrer Bauten verabschiedet. Gleichzeitig, und das ist eine fast schon perverse Dialektik, steigt der Hang zur Verpanzerung ins Pathologische. Jedes Kind bekommt mit strengen Worten gesagt, dass es, wenn es sich eine Plastiktüte über den Kopf zieht, keine Luft mehr bekommt und stirbt. Für Häuser gilt im Prinzip das Gleiche. Nichts rein- und nichts rauslassen, Abschottung, Käseglockenideologie: Der Vollwärmeschutz zeichnet schon auch das kollektive Psychogramm einer Gesellschaft, die vor Eindringlingen und Infektionen panische Ängste hat. Allerdings kollidiert genau diese hysterische Abschottung gegen alles, was von außen kommt, mit einer anderen kerndeutschen Urangst: der vor dem Schimmel.
Das ist das heute schon massenhaft sichtbare Paradox des deutschen Dämmens: Innen bilden sich Pilze, weil die Feuchtigkeit nicht raus kann, draußen schlägt der Specht seinen Schnabel durch die Dämmstoffplatten und baut sich im Styropor ein Nest. Den deutschen Dämmfuror können diese Widersprüche jedoch schon deshalb nicht stoppen, weil sein Charakter der einer messianischen Sendung ist: Am deutschen Dämmstoffwesen soll das Weltklima genesen.
Ökologie als Vorwand
Von Alfred Andersch gibt es, aus dem Jahr 1958, die Wirtschaftswunder-Erzählung „Mit dem Chef nach Chenonceaux“. Darin unternimmt ein Kunstseidenfabrikant aus dem Ruhrgebiet eine Kulturreise nach Frankreich und findet die Loire-Schlösser allesamt „vergammelt“; lieber würde er sich in den Dingen spiegeln wie im polierten Blech seines BMW. Diese Grundhaltung dominiert die Bundesrepublik bis heute, und wenn man den aktuellen Debatten folgt, scheint es manchmal fast nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die deutsche Wärmmacht unter dem Banner der Ökologie noch mal in Frankreich einmarschiert und in Italien und überall sonst, wo Häuser, die alt sind, auch alt aussehen dürfen. Denn es geht bei der Sache ja nicht nur um Neubauten, das viel größere Vorhaben ist die „energetische Ertüchtigung“ des Bestands, also die Verpackung von Altbauten. Eine energische Ertüchtigung der Bauträger wäre vielleicht der einfachere Weg.
Der Klimaschutz ist heute ein bauideologisches Mantra, das nur aufgesagt werden muss, um die widersinnigsten Dinge möglich werden zu lassen. Da muss eine immer üppiger ausgreifende Haustechnik aufwendig für die Regulierung des Klimas sorgen, das sie selbst, als Stromfresser, zum Unguten hin verändert. Auch Wärmedämmverbundsysteme sind so ein Ausfluss der Ideologie und der Moden. Sie sind kein Produkt eines ökologischen Umdenkens: Es gibt sie seit den fünfziger Jahren, sie sind Produkte der unökologischsten Epoche der Menschheit, jener Zeit, in der man alles, was man in Plastik einschweißen konnte, auch in Plastik einschweißte: In Deutschland wurde zum ersten Mal 1957, in Berlin, ein Wärmedämmverbundsystem verbaut, also in jener Epoche, in der auch luftdicht eingeschweißter Käse in den Läden auftauchte und das amerikanische Unternehmen Swanson den Markt mit ewig haltbaren Drei-Komponenten-Menüs überflutete, bei denen das Verhältnis von Essen und Umverpackung neue Ineffizienzrekorde erreichte.
Die Bemäntelung eines ökonomischen Vorteils
Die Zutaten des mit Wärmedämmverbundsystemen eingeschweißten Hauses sind nicht weniger unökologisch: Um das Klima zu schützen, werden ganze Ölfelder mit gigantischem Aufwand in Polystyrol-Hartschaum, Polystyrolextruder-Schaum oder Polyurethan-Hartschaum verwandelt; es ist Kunststoff, der hinter dem Putz als Dämmungsmaterial für ökologische Korrektheit sorgen soll. Der Vollwärmeschutz, der das Klima schonen will, ist also schon in der Herstellung Teil des globalen Energieproblems, das er lösen soll - was mit einer Hartnäckigkeit ignoriert wird, hinter der andere, nämlich rein kommerzielle Interessen stehen.
Es lohnt sich, bei der Debatte um den Vollwärmeschutz auch einmal die Interessen des sogenannten Handwerks in den Blick zu nehmen. Eine klassische, doppelschalige, klima- und atmungsaktive Backsteinwand zu mauern kostet Zeit und Geld. Für den Generalunternehmer sind die Gewinnspannen bei einem Bau, der in Wärmedämmverbundsystem-Technik errichtet wird, immens viel höher: Wer einmal gesehen hat, in was für einem Tempo eine Handvoll Maurer mit koffergroßen Industriesteinen eine Wand hochzieht; in welch einem rasanten Tempo auf diese Wand dann Dämmstoffplatten aufgedübelt oder gern auch aufgeklebt (genau: geklebt, herzlichen Gruß an die Klimaschützer) werden, bevor ein mit einer Spritzkanone bewaffneter Haufen desolater Putzer in wenigen Stunden Armierungsmörtel und Oberputz draufknallt: Wer sieht, dass man ein ganzes Haus auf diese Weise fünfmal so schnell baut, dieses Haus dann aber trotzdem fast genauso teuer ist wie ein klassischer Ziegelbau, der versteht auch, warum fast nur noch so gebaut wird: Der ökologische Aspekt dient nur zur Bemäntelung eines ökonomischen Vorteils.
In zehn Jahren kommt alles runter
Der sichtbarste Erfolg der Vollwärmedämmung von Häusern ist die Tatsache, dass der Chef der Putzer zur Schadensbesichtigung mit dem neuesten Porsche Cayenne aufs Grundstück rollt, wenn der ganze Mist nach kurzer Zeit durchfeuchtet ist oder herunterfällt; Vollwärmeschutz hilft vor allem den Portemonnaies der Bauunternehmer.
„Nachhaltig“, das zweite wichtige Wort, ohne das heute nichts mehr gebaut werden kann, nachhaltig ist das jedenfalls nicht: Denn anders als beim eingeschweißten Käse ist das plastikummantelte Haus nicht für große Haltbarkeit bekannt. Mit ziemlicher Sicherheit ist die verdämmte Welt der Neubauten in zehn Jahren eine hausförmige Sondermülldeponie: Die Polystyrolplatten schüsseln auf, zwischen der Dämmung und dem Außenputz fällt Tauwasser aus, das wegen des hohen Wasserdampfdiffusionswiderstands von Außenputz und Anstrich nicht vollständig verdunsten kann. Der Putz reißt, der Dämmstoff feuchtet langsam durch, verliert seine Dämmwirkung, und in zehn Jahren kommt alles runter, gerne auch von allein. Fassaden gehörten bis vor kurzem zu den wenigen Dingen, die man nicht wegwerfen konnte und musste; die Vollwärmedämmung ändert das.
Depressiv-grimmige Grundhaltung auf der Baustelle
Wäre eine Alternative denkbar? Die Antwort ist oft leider: Nein. Denn bei vielen Bauunternehmern, die aus ihren Entwurfscomputern „individuelle Lösungen“ leiern, ist eine klassische, mit Ziegeln gemauerte Doppelschal-Fassade nicht für Geld und gute Worte zu bekommen. Ein Maurer, befragt, warum die Arbeiter für achtunddreißig Reihen Backstein in Kaminbreite über eine Woche brauchen (macht etwas über fünf Reihen pro Tag), erklärt fassungslos: Dies sei „Handarbeit“ - so, als sei klassisches Mauerwerk nur mit der Tätigkeit eines Graveurs oder Miniaturenmalers vergleichbar.
Das Handwerk, das so stolze Preise aufruft, ist qualitativ in der Talsohle so weit unten angekommen, dass man es gar nicht mehr erkennen kann. Was auch an der Ausbildung liegt: Junge Maurer und Putzer werden miserabel bezahlt und sind demotiviert, weil Auftraggeber die gleiche schlechte Arbeit auf dem Schwarzmarkt billiger bekommen, sie werden von miserabel bezahlten, demotivierten Arbeitern ausgebildet, die für ihre schlechte Arbeit zu Recht Ärger bekommen und deswegen schon mit einer depressiv-grimmigen Grundhaltung auf die Baustelle schlurfen; kaum ein Handwerksbetrieb, der dem Nachwuchs zum Stolz auf die Qualität des Gemachten erzieht und ihm beibringt, dass man als Betrieb nur überlebt, wenn einem der Ruf exzellenter Arbeit vorauseilt.
Vollwärmeschutz ist das Gegenteil von Fortschritt
Die Städte, Vororte und Dörfer in Deutschland sehen auch so aus, wie sie aussehen, weil es allen Beteiligten am Ende irgendwie doch wurscht ist, wie das Ergebnis aussieht - und weil die, die es bezahlen müssen, nicht wissen, bei wem sie es besser bekommen. Der Fassadenpfusch ist so gesehen nur Teil eines größeren Desasters. Es braucht eine neue Ausbildungskultur; und man muss nachdenken, was wirklich ökologisch wäre: nämlich nicht die gedämmte Vorortsiedlung, sondern eine Stadtarchitektur, die das Pendeln in die Vororte unnötig macht.
Vollwärmeschutz aber ist, auch wenn es gebetsmühlenhaft wiederholt wird, das Gegenteil von Fortschritt. Man hat hundert Jahre gebraucht, um aus einer Pferdekutsche, unter die man zur Überraschung der anderen Pferde und Kutscher einen Verbrennungsmotor gemogelt hatte, ein 270 Stundenkilometer schnelles Ding mit acht Airbags, Internet-Anschluss, Massagesitzen und Infrarotsichtgerät zu machen.
Ein Haus aber sieht noch immer so aus wie vor vierhundert Jahren - nur hässlicher und schlechter gemacht: Steinwand, Loch für die Tür, Loch für die Fenster, Satteldach. Der Fortschritt, das Haus des 21. Jahrhunderts ist diese Kiste, nur diesmal mit Styroporvermummung und ein paar Solarzellen auf der Ziegeldachmütze. Dabei gibt es genug Architekten in diesem Land, die andere Antworten hätten, es müsste sie bloß mal einer fragen.
Bildmaterial: Andreas Pein, AP, dpa, Rafael Horzon, Wolfgang Eilmes, ZB
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